Ilse Aichinger: Möglichkeiten im Rückwärtsgehen

Ilse Aichinger (1921 bis 2016) war eine der wichtigsten und widerständigsten Stimmen der deutschsprachigen Literatur nach 1945. Zu ihrem 100. Geburtstag haben drei Tiroler Künstler ihre Erzählung „Spiegelgeschichte“ ins Zentrum eines Festes für die unvergängliche Schriftstellerin gestellt.

Am 1. November 1921 wurde Ilse Aichinger mit ihrer Zwillingsschwester Helga in Wien geboren. Während sie selbst ab dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich als „Mischling 1. Grades“ zwar „zwangsverpflichtet“, aber vor Deportation geschützt war, wurden ihre jüdischen Verwandten 1942 ermordet. So musste die damals junge Frau unter anderem auch mit ansehen, wie ihre Großmutter von den Nazi-Schergen am Schwedenplatz in einem Lastwagen abtransportiert wurde.

Kritisch dem „Wirtschaftswunder“ gegenüber
Aufgrund der „Rassengesetze“ konnte Aichinger ihr Medizinstudium erst nach dem Krieg beginnen. Sie brach dieses nach fünf Semestern ab, um ihren ersten, 1942 begonnenen Roman, „Die größere Hoffnung“, fertigzustellen. Als die eigentliche Katastrophe des 20. Jahrhunderts empfand Aichinger aber die erschreckende „Normalisierung“ der Nachkriegszeit in den 1950er Jahren, welche das „Wirtschaftswunder“ mit sich brachte.

Diese Jahre, welche durch den beginnenden Konsumrausch, Oberflächlichkeit und geistiger Erstarrung gekennzeichnet waren, begegnete sie mit paradoxen Erzählungen, die in der rätselhaften ewig gültigen Schönheit ihrer Texte verpackt sind, wie die berühmte „Spiegelgeschichte“, die ein missglücktes Leben vom Ende her rückwärts erzählt, um auf neue Möglichkeiten und Anfänge hinzuweisen.

Ein theatrales Fest zum Jubiläum
In wenigen Tagen jährt sich Ilse Aichingers Geburtstag zum 100. Mal, ihr Todestag, am 11. November zum fünften Mal. Aus diesem Anlass feiern die Sängerin Elisabeth de Roo, der Schauspieler Thomas Lackner und der Gitarrist Bernd Haas ein Fest für Ilse Aichinger. Als literarisch-theatrales Kammerkonzert soll die Inszenierung von Thomas Lackner auf der kleinen Bühne des Innsbrucker Treibhauses das Licht der Welt erblicken, auch um einen Kontrapunkt gegen die Unruhe der heutigen Zeit zu setzen.

Hubert Berger (Journalist)

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